Mit uns für alle — Selbsthilfe bringt sich ein

Starke Bayerische Beteiligung  auf der 42. Jahrestagung der DAG Selbsthilfegruppen in Bremen

17.06.2022
120 Teilnehmende aus Selbsthilfekontaktstellen kamen zur 42. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG) in Bremen zusammen. Unter dem Motto „Mit uns für alle – Selbsthilfe bringt sich ein“ gab es eine starke Beteiligung einer zehnköpfigen Delegation aus Bayern. So war der komplette Vorstand von SeKo Bayern e.V. vertreten und zwei Kollegen des Selbsthilfezentrums München gestalteten den Workshop „Gemeinschaftliche Selbsthilfe im politischen Diskurs – welche Rolle kann, soll und will sie spielen?“. Abends ging es zum Empfang der Bremer Sozialreferentin im Ratskeller, vor dessen Eingang auch die berühmten Bremer Stadtmusikanten zu besichtigen sind. Am Abschlusstag  moderierte Theresa Keidel von SeKo Bayern die Abschlussreflexion der Tagungsteilnehmenden. Alles in allem  eine gelungene Tagung, bei der auch der Austausch mit dem Nachbarland Österreich interessante Diskussionen ermöglichte.

Die bundesweite Tagung für Fachkräfte aus Selbsthilfekontaktstellen und -Unterstützungseinrichtungen fand vom 13.06. bis 15.06.2022 in Bremen statt. Selbsthilfe hatte geschichtlich betrachtet schon immer auch die Funktion einer gesellschaftlich verändernden Kraft. Durch das Engagement von Betroffenen wurden und werden Vorurteile bekämpft, Verständnis geweckt für Menschen, die von vielfältigen Themen und Erkrankungen betroffen sind, deren Bedarfe und Bedürfnisse deutlich gemacht. Selbsthilfe-Engagierte helfen sich untereinander bei der Bewältigung ihres Alltags. Dabei stellen sie fest, an welchen Stellen diese gegenseitige Hilfe ihre Grenzen hat. Sie erfahren durch den Austausch mit anderen, dass es oft nicht der Mensch ist, der ein Problem hat, sondern, dass ein Problem eine Ursache in zum Beispiel bürokratischen Abläufen, gesetzlichen Vorgaben oder medizinischen Behandlungsprozessen liegt. In der Gemeinschaft finden viele die Kraft und den Mut, solche Barrieren zu benennen und sie beseitigen zu wollen.

Eine der Grundideen der Selbsthilfebewegung bereits in den 70er Jahren war, dass für eine bedarfsgerechte, an den Patientinnen und Patienten orientierte Versorgung wichtig ist, die Betroffenen einzubeziehen. Gleichzeitig waren die ersten Protagonist*innen der Selbsthilfe häufig Menschen, die sich über die Basisarbeit in den Selbsthilfegruppen hinaus einbringen wollten und die sich deutlich gegen negative Entwicklungen des Medizinsystems äußerten und engagierten. Aus dieser Bewegung sind eine Reihe von Selbsthilfeorganisationen entstanden, die bis heute Einfluss und Mitwirkung von Patient*innen im Gesundheitssystem propagieren und sich selbst engagieren.

Aus diesen vielfältigen Ansätzen der Selbsthilfe, sich in Entscheidungsprozesse einzubringen, sind mittlerweile eine Reihe von gesetzlich festgelegten oder einfach durch gute Praxis verstetigte Konzepte zum Einbezug von Bürger*innen und Patient*innen entstanden. Zu nennen sind hier als Beispiele Gesundheitskonferenzen, Beteiligungen an Psychiatrieplänen ebenso wie die Beteiligung von Selbsthilfe- und Patientenorganisationen nach Paragraf 140f SGB V Bundes-, Landes- und regionaler Ebene bei Fragen der medizinischen Versorgung, die bereits seit 15 Jahren etabliert ist.

Alle diese Ansätze stellen für die Gesellschaft eine unerschöpfliche Chance dar, durch Ideen und Kritik zu wachsen und für ihre Bürger*innen eine bessere gesundheitliche Versorgung zu schaffen.Selbsthilfekontaktstellen waren von Anfang an Sprachrohr für Anliegen und Bedarfe von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen.

Selbsthilfeinteressierte kommen mit vielfältigen Anliegen in die Beratung. Sie suchen Hilfe und Unterstützung bei ihrem Weg durch das Gesundheitswesen oder in eine Selbsthilfegruppe. Selbsthilfegruppen werden unterstützt, um die gegenseitige Hilfe in der Gruppe zu gewährleisten und bei Problemen Lösungsansätze zu entwickeln. Aber immer wieder wird auch Unterstützung geleistet, damit Betroffene sich für ihr Thema, für ihre Belange einsetzen können. Ein prominentes Beispiel dafür ist die strukturierte Zusammenarbeit mit Einrichtungen der professionellen Versorgung mit dem Handlungsansatz des Netzwerks Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen.

In der neuen Selbsthilfegeneration (der „jungen Selbsthilfe“) gründen sich vielfach Selbsthilfegruppen und -initiativen, deren Interesse von Beginn an darin liegt, als möglichst große Gemeinschaft stark zu werden und sich regional, landes- oder bundesweit in die Entscheidungswege der immer älter werdenden Gesellschaft einzumischen. Aber auch Menschen höheren Alters gehen mit ihren Themen diesen Weg. So wird Selbsthilfe immer mehr zu einer Kraft, die Menschen in demokratische Prozesse einbindet, aber auch Institutionen zu dieser Einbindung anregt und sie erleichtert.

Bei der Jahrestagung 2022 nahm die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. die Bedeutung der Selbsthilfe als Partizipationsbewegung – insbesondere im Gesundheitswesen – auf. Das Programm beleuchtete den Begriff der Partizipation an sich, stellte gute Beispiele für gelingende Kooperation und Partizipation vor, betrachtete die Rolle der Selbsthilfekontaktstellen als unterstützende Agenturen, aber auch als Akteure in Gremien. Darüber hinaus zog die Veranstaltung ein Fazit der derzeitigen Bedingungen und Möglichkeiten, aber auch der Grenzen und zukünftigen Herausforderungen für die Selbsthilfe. 

Von links nach rechts: Klaus Grothe-Bortlik, Gudrun Hobrecht und Renate Mitleger-Lehner, alle drei Vorstand SeKo Bayern e.V.