06.04.2020, Anonym

Die Eins nach dem Anderen Zeit

Viele Jahre war ich stolz auf mein Multitasking. Gleichzeitig konnte ich mit meiner Mutter im Pflegeheim telefonieren und die Spülmaschine ausräumen, mit meinem Sohn spielen und einen Einkaufszettel schreiben, im Büro mit der Kollegin Infos austauschen und eine Mail beantworten.

Dann merkte ich, dass das innerlich immer mehr Stress erzeugte und ich begann in meiner freien Zeit mit Yoga oder Qigong gegenzusteuern, las Bücher über Stressreduktion und Selbstfürsorge und entspannte mich beim Akkordeon spielen.

Meine Familienphase mit Mehrfachbelastungen war gerade vorbei und ich dachte, jetzt geht’s mir aber gut, da kam wie aus dem Nichts meine persönliche Krise. Ein Burnout katapultierte mich komplett aus meinem bisherigen Leben. Zeit zum Nachdenken und Abschalten war jetzt nicht die Kür, sondern ein Muss, und nach einem halben Jahr hatte ich viel über mich und das Leben gelernt.

Danach waren meine Tage trotzdem eng getaktet und Zeit nur für mich nach wie vor eine Seltenheit. Schließlich wollte ich allem- beruflich und privat- gerecht werden und auch die schönen Dinge des Lebens nicht zu kurz kommen lassen.

Und jetzt in meiner Coronazeit? Ich wache früh auf und an meinen arbeitsfreien Tagen erwartet mich ein langer Tag voller Möglichkeiten. Dabei denke ich an all die Menschen, die es jetzt nicht so gut haben wie ich, die jetzt besonders viel arbeiten müssen, gleichzeitig Kinder betreuen und abends oft völlig erschöpft sind. Ich dagegen sitze bei meiner Tasse Tee am Morgen und kann alles tun, aber eben nacheinander.

Da gibt es den schönen Spaziergang, ganz allein. Danach das lange Telefonat mit einer guten Freundin. Dann Zeit und Muße mit meinem Mann auf dem Balkon zu sitzen oder aus dem Fenster zu schauen. Dann das gute Essen in Ruhe zu genießen ohne gleichzeitig die Nachrichten zu schauen. Eben eins nach dem Anderen!

Und siehe da, ich schlafe besser, ich fühle mich ruhiger und trotz der schlechten Nachrichten kann ich besser durchatmen. Ob das so bleibt, oder ob doch demnächst der berühmte Lagerkoller kommt?

Klar freue ich mich schon jetzt auf die Zeit danach: soziale Kontakte, Umarmungen und Nähe sind mir unendlich wichtig. Aber es ist so wie mit einer Fastenkur: Danach weiß ich das alles sicher noch viel mehr zu schätzen! Und vielleicht schaffe ich es ja auch zukünftig Zeit für mich genauso wichtig zu nehmen wie die Zeit mit den Anderen.